11ter Tag

Freitag, 3.11.2023

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Bordzeit 5:33 ... Ich sitze / liege auf Deck 12, sternklarer Himmel, über mir der Mond und hoffe auf meinen ersten spektakulären Sonnenaufgang auf dem Atlantik...

Sonnenaufgang 1
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wieder mal eine Fehlinformation oder es ging an mir vorbei ... nicht sechs sondern sieben soll Clara sich am Horizont erheben, also wieder raus aus der Decke und dem Wind... auf Deck 11 im ZEN überbrücke ich die Wartezeit mit diesen Zeilen ins Log Buch
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also gestern war wahrhaftig ein denkwürdiger Tag, der erste dieser Reise an dem wir (ich und die Passagiere) auf Deck in der Sonne speisen konnten ... alle Liegen waren von den Sonnenanbetern restlos belegt...
Essen in der Sonne
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ich kreuzte auf meinem persönlichen Programmzettel derartig viele Aktivitäten an, dass doch die Siesta glatt auffallen musste .... lernte aber auch Neues kennen, z.B. Wikinger Schach, bei dem mit Staffelstäben auf Klötzern geworfen wurde... und wieder begannen Gespräche am Tisch mit „mein Bruder war Koch bei der Handelsflotte und er ...“ Ja, bin schon stolz auf meinen kleinen Zwilling...
Wikinger Schachspiel
Ach ja, und der Käpt'n stellte die Mannschaft der Brücke vor: „und das meine Damen und Herren ist der Erste Deckoffizier“...Das Mütterchen neben mir:“Ei, ei – an was die Reederei so alles denkt!“ ...
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meine jüngste Lektüre für die Seetage: das „Kanzler Komplott“ von Steve Berry – ein Polit Thriller von brennender Aktualität rund um den Deutschen Wahlzirkus...
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ich konnte es nicht lassen – die restlichen Minuten meines gekauften Internetpaket vernutzte ich für Steimle's 123 te Ausgabe ... und schon muss ich wieder ein Ramipil im Doppelpack einwerfen ...

So, jetzt zweiter Versuch – auf zur Großen Bühne: Schauspiel „Sonnenaufgang“ ...
Sonnenaufgang 2
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Frühstück - meine tägliche Lieblingsmahlzeit – wenn auch die kürzeste, weil Routine – ist gegessen ... jetzt war ich zum dritten Mal im Waschsalon nebenan ... beim 1. versuchte mir ein freundlicher Mann (Hausmann?) das Procedere zu verklickern, beim 2. heute in der Früh war ein Gewusel und ich hab's nicht gepackt und jetzt beim 3. Mal keine Chance – alle sechs Maschinen besetzt ... okay beim nächsten Auftritt muss ich's schaffen, denn alle T-Shirts sind getragen ...
Sport an Deck
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schon im Morgengrauen versuchen Hoffnungsvolle ihre angegessenen Kilos los zu werden, denn laut schiffseigener Statistik nehmen die Gäste im Durchschnitt drei zu ... also wird rund ums Deck gejoggt oder an den zahlreichen Trimm-dich-Geräten geschwitzt... den Ehrgeiz habe ich natürlich nicht, trotzdem versuche ich die Treppen zu laufen, zuM einen hab ich's von meinem Quartier nur zwei Etagen bis zur Fütterung und nur drei bis zum Pooldeck (also ideale Lage) und dies geht in der Rush hour schneller als auf den Lift zu warten...Apropos Fahrstuhl – bin beeindruckt welche Schwerstarbeit sie rund um die Uhr und auch bei stürmischer See leisten, was übrigens auch eine besondere Konstruktion erforderlich macht ...
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Stichwort „essen“... open büfett ... eat how much you can eat ... „a.i.“ bei der Buchung, also „all inclusive“ ... womit wir bei der Weg Werf Gesellschaft wären... was geschieht mit all den Leckereien nach Küchenschluss? z.B. mit den 5min Eier (halb flüssig)... es gibt keine „Tafeln“ und die Crew wird auch nicht alles verspeisen können...da macht man sich als gelernter Ossi schon so seine Gedanken bei all dem Hunger in der Welt, auch in den Ländern, aus denen das Service Personal stammt, unsere Mutter wäre damit wohl kaum klargekommen, hätte gar die Nutzung von diesem zweifelhaften Luxus verweigert ...doch am Ende verdirbt es den Appetit , also lass es, iss und genieße, solange es noch geht...denn auch dem werden die Bessermenschen früher oder später den Grünen Riegel vorschieben ...ich denke aber auch, dass sich diese Form aus hygienischen Gründer früher oder später überlebt..ich gehöre nun mal schon als gelernter Rinderzüchter nicht zu den Sensibelchen, trotzdem stört's, wenn ich sehe, wer das alles in den Auslagen herumstochert und seinen Atem drüber haucht oder mit feuchter Aussprache den Partner auf Leckeres hinweist ...
Buchlesung
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Gestern war ich bei einer Lesung „verschaukelte Liebe“ – der Germanistik meiner Großfamilie hätte es gefallen....spielte zum Beginn der „Lustreisen“ im vergangenen Jahrhundert – wie die ersten Kreuzfahrten genannt wurden und passte historisch auch in die Zeit der „Fotografin“ , deren Bände ich verschlang, und so war ich über die historischen Hintergründe vorab informiert, was das Verständnis erleichterte...
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Bruder, du hast völlig recht mit „Frachtschiff“ – der aktuelle Kapitän befuhr einst derartige Containertransporter und zeigte Bilder mit Monsterwellen über Bug und Brücke... bei einer solcher Überfahrt wäre es tatsächlich meine letzte gewesen... da bei dieser Fracht auf keine gut zahlende Passagiere Rücksicht genommen werden musste, spielten Sturmtiefs und Riesenwellen keine Entscheidung bei der Wahl der Route ... was bei unserer Reise jedoch der Fall war und der Käpt'n suchte einen Weg zum Wohl der Gäste, rauschte in einer Lücke zweier Tiefs an Dover vorbei und wählte in der Biskaya – so seine Aussage – mit den acht Meter Wellen das „kleinere“ Übel ... was aber trotzdem vor Deck übergreifender Übelkeit nicht schützte ...
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Schwester fragte, wie ich zu den Aufnahmen mit mir komme ... so bat ich z.B. auf dem Sonnendeck einen Passanten und dankte anschließend provokant „im Namen der DDR und allen sozialistischen Staaten“... bekam als Antwort: aha, von der „Deutschen Dackel Rennbahn“ ... JA, wir sind auch nach drei Jahrzehnten noch die Neuen Neger aus der vereinnahmten Neufünfland Kolonie ... und brauchen deshalb ja einen Ostbeauftragten mit einer entsprechenden „Buschzulage“...
Hut 2
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Hut? - natürlich wurde ich danach gefragt, schon allein weil mich inzwischen die Crew mit „Cowboy man“ begrüßt... einer besonders neugierigen Dame erklärte ich, dass Historiker herausfanden, dass auf der „titanic“ alle Hutträger überlebten ... einem anderen Tischnachbar kam ich mit der Wahrheit näher, dass mein Vater in Gedanken und im Hut diese Reise miterlebt...
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um zehn lud eine ältere Dame in die Alm Hütt'n zum Skat ein und vier Männer folgten ihrem Ruf und so spielten wir eine gute Stunde Karten, ob ich der morgigen Fortsetzung folge, bin ich noch nicht sicher ... ich verabschiedete mich, weil ich dem Vortrag im Theater über die Entdeckung der „Neuen Welt“ lauschen wollte und der Lektor, der fast täglich einlädt, zeichnete wieder ein überaus lehrreiches Bild dieser Zeit der Entdecker, Freibeuter und Piraten ... letztere waren nicht immer nur Männer, auch Frauen fanden Gefallen am Gemetzel zum Beispiel die rothaarige Anne Bonny, die als Mann verkleidet erfolgreich den Säbel schwang und in die Geschichtsbücher gelangte... auch die verbrecherische Rolle von Pizzaro bei der Abschlachtung der friedlich tanzenden INKAs am 16. November anno (? hab's vergessen) bei dem hinterhältigen Überfall in Cajamarca ... übrigens erfuhr ich bei diesem Vortrag, dass auch Brandenburg in der Karibik einst eine Kolonie besaß ...
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So, die Borduhr zeigt „13:00 Uhr“ und ich schau, was die Küchencrew wieder zauberte und brauche anschließend eine Siesta – bin ja wegen dem Schauspiel „Sonnenaufgang“ schon früh auf den Hufen ..
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Obwohl die Außentische noch vereinzelt Plätze in der Sonne boten, war's mir doch zu windig ... beim Mahl blickte ich so in die Runde und behaupte, dass über die Hälfte der Mitreisenden zum einen im Ruhestand und zum anderen übergewichtig (wie heißt der Fachausdruck für Fettleibigkeit?) waren, der BMI jenseits von Gut und Böse...als Fotograf glaube ich einen Blick für das Schöne zu besitzen, doch so sehr ich mich auch mühte, die Finger einer Hand reichten bis jetzt aus um zu zählen, was ich gern fotografiert hätte – ein klassischer „eye catcher“ blieb mir verborgen ... beim schiffsinternen Wettbewerb der Bordfotografen mit den ausgehängten Porträts um das schönste Lächeln war für mich klar die Nummer 15 der Favorit – was ich der jungen Frau auch am Morgen auf Deck bescheinigte und ihr damit den Tag verschönte ... denke ich.
Foto vom Wettbewerb
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Beim Blick auf den riesigen doppelten Auspuff dachte ich, dass die relativ wenigen ausgestoßenen Abgase im zarten Hellgrau in meinen Augen in keinem Verhältnis zur Leistung der riesigen Dieselmaschinen stand und der Trabbi in meinem ersten Leben auf die 26 Pferde umgerechnet ein zig Faches mehr an Übelriechendes in die Luft pustete...
der Auspuff
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Im Moment stehe ich vor einer schwerwiegenden Entscheidung, die mich am friedlichen Einschlafen hindert und die „Dead line“ rückt unaufhörlich näher ... ich könnte die Reise um bezahlbare zwei Wochen über Jamaika verlängern, denn die erste Etappe hatte ja nicht wirklich etwas mit Erholung zu tun ... meine Familie hält sich bedeckt... wie lange kann ich Liz noch ungestraft allein lassen? ... Marcel meint, wenn die Party am schönsten ist, sollte man(n) nach Hause gehen ... ich bin unsicher, ob sich die Höhepunkte noch steigern lassen oder sich lediglich eine Wiederholung der anderen anschließt...
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Nach einer kurzen Siesta und erfolglosen Hoffen im Waschsalon ging ich mit meiner Lektüre auf's Pooldeck bis mir der Wind zu lästig wurde... durch Zufall entdeckte ich in einem Raum die Fortsetzung der Buchlesung von gestern: „Verschaukelte Liebe“ Teil II und blieb ... da gefiel mir die Formulierung, dass schon damals – also um die Jahrhundertwende – eine derartige „Lustfahrt“ für manche eine oberflächliche Vergnügungsreise war, mit der sie später angeben konnten ... ich hoffe, dass dies bei mir nicht so rüber kommt, lies dazu den Prolog zu meinem Abenteuer...
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So, bis jetzt kam mir noch keinen Tag Langeweile auf und nun heißt es sich schon wieder für das Abendprogramm zurecht stylen ... rasieren , umziehen#
It's show time
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